Abschluss des VÖVM Mentoring mit und an der FH Wiener Neustadt
Wie sieht der Vertrieb der Zukunft aus?
Eine zentrale Frage, die im Zuge des Zusammenkommens im Rahmen der Abschlussfeier des diesjährigen Mentoring Programms heiß diskutiert wurde.
Ausgangspunkt, wie hätte es anders sein sollen, war die Zusammenarbeit der unterschiedlichsten Generationen. Welche Bedürfnisse gibt es? Was kann ich als Unternehmen tun, um auch weiterhin die High Potentials für mich zu gewinnen? Was erachten auch die Studierenden als Vertreter der Generation, als relevant und erforderlich bzw. notwendig, um motiviert einen guten Job zu machen?
Eine Einleitung in das Thema wurde uns von Hans Bachinger gegeben. Aus seiner täglichen Praxis bei der Vermittlung von Vertriebsmittarbeitern leitete er für die Anwesenden anhand des vom Zukunftsinstitut herausgegebenen Megatrends New Work, konkrete Handlungsfelder für die jeweilige Unternehmensstrategie ab.
Diese insgesamt acht Handlungsfelder setzen sich wie folgt zusammen:
#1 Employee Experience
Als Organisation gilt es hier, insbesondere die Bedürfnisse der eigenen Mitarbeiter aufzugreifen und ernst zu nehmen – aus der Arbeit, dem Arbeitsalltag und dem Netzwerk also ein Erlebnis zu gestalten, das Unternehmen also erlebbar zu machen. Das bedeutet vor allem eine (Persönlichkeits-)Entwicklung zu ermöglichen. Basis dafür ist etwa eine positive Fehlerkultur. Fehler passieren vor allem dann, wenn etwas Neues ausprobiert wird. Es gilt anschließend daraus zu lernen. Im Umkehrschluss bedeuten keine Fehler, dass lediglich verwaltet und nichts Neues mehr gewagt wird. Mit dem Stillstand steht der Untergang des Unternehmens kurz bevor.
Auch den Führungskräften kommt hier eine zentrale Rolle zu. Sie gehen voran und gelten als Treiber des Fortschritts. Für die Entwicklung braucht es einen Raum, der dafür geschaffen werden soll. Wertschätzung soll in einem solchen Unternehmen spürbar werden. Alles Aspekte, die, wie wir noch sehen werden, auch aus der Befragung als höchst relevant eingestuft wurden. Überlegenswert ist deshalb auch eine neue Form der Vergütung, bei der alle Mitarbeiter eine Erfolgsbeteiligung erhalten.
#2 Disruptives Denken
Gegenwertige Strukturen und Handlungen sollten immer wieder in Frage gestellt werden.
Es braucht hier Raum für Kreativität und Mut zum Misserfolg. Gleichzeitig gilt es Erfolge auch gemeinsam zu feiern und damit zu honorieren.
#3 Work Life Blending
Hätte früher jemand behauptet, sich gegen Überwachung zu wehren und nicht jedem anzuzeigen, wo er oder sie sich gerade befindet, so tragen wir inzwischen diesen Tracker sogar manchmal in vielfacher Ausführung (mehrere Mobiltelefone, Laptop etc.) mit uns herum.
Das Beispiel zeigt, dass wir jederzeit erreichbar sind und mitunter auch jederzeit unsere Mails checken – sei es privat oder beruflich. Entsprechend gibt es auch keine wirkliche Trennung mehr zwischen Beruf und Privat. Eine Entwicklung, die jenen von Selbstständigen gleicht und auch mehr und mehr im Vertrieb (als Unternehmer im Unternehmen) Einzug findet. „Du selbst bist die Marke für dein Produkt!“, postulieren hier die bekannten Coaches. Willst du es ordentlich verkaufen, kannst du dich auch als Privatperson nicht davon lösen, sondern repräsentierst dich, dein Produkt und deine Firma auch in der „Freizeit“. Es ist eine Identifikation mit der Arbeit als Konsequenz des eigenen Entschlusses und Handelns. Es ist beinahe eine Notwendigkeit dafür, wenn wir bessere Ergebnisse leisten möchten, das zu tun, was wir gerne tun und dafür einzustehen.
Durch diese Überschneidungen zeigt sich, dass für den Aufbau einer Resilienz, d.h. einer Widerstandskraft, die es erlaubt, weiterhin geistig und körperlich gesund zu bleiben, neue Fähigkeiten des Selbstmanagements erforderlich werden. So gilt es sich etwa abzugrenzen und Nein zu sagen als auch eigenständig zur Ruhe kommen zu können.
Durch den geringer werdenden Unterschied und die fallenden Grenzen zwischen Beruf und Privat kann Zeit nun kein Faktor für Erfolg mehr sein. Um den Bedürfnissen dieser neuen Form von Mitarbeitern gerecht zu werden, bedarf es auch flexibler Arbeitszeiten. Gleiches Maß ist dann auch für den Urlaub anzulegen.
Wichtiger Faktor kann deshalb auch sein, weitreichendere Angebote für das Leben der Mitarbeiter zu liefern. Dies können Gesundheitsprogramme aber auch neue Mobilitätsformen sein, wie etwa ein Mobilitätsbudget anstatt des Dienstautos anzubieten.
Eine gegenseitige Wertschätzung und gegenseitiges Vertrauen ist hier der zentrale Baustein.
#4 Future Working Skills
Die Fähigkeiten für potenzielle zukünftige Mitarbeiter liegen vor allem in der Flexibilität, sich an sich verändernde Rahmenbedingungen anpassen zu können.
Dies betrifft insofern die kognitiven, zwischenmenschlichen sowie inzwischen digitaler Fähigkeiten sowie eigenverantwortlich zu handeln und Entscheidungen zu treffen.
Für Unternehmen ist es daher wichtig, Lernen zum Arbeitsalltag zu machen und aktiv Fort- und Weiterbildung anzubieten.
Ausschlaggebend für zukünftigen Erfolg ist auch das interdisziplinäre Arbeiten und damit das übergreifende Denken.
Es gilt, eine positive Feedbackkultur zu implementieren und etwa auf Coaching zu setzen.
#5 Lernen und Entwickeln
Coaching ist auch für diesen eigenen Punkt essenziell. Es gilt, eine Lernkultur zu etablieren bei der etwa ein festes Budget für Weiterbildung eingeplant und eine Arbeitskultur gefördert wird, die individuelle Personalentwicklung erlaubt.
#6 Arbeitskultur
Im Zuge der Verschmelzung von Beruf und Privatleben gilt es auch auf die Umgebung zu achten, die eine weitere Identifizierung mit dem Unternehmen erlauben. Dazu zählen unsichtbare Richtwerte wie Normen, Werte und Visionen des Unternehmens genauso wie sichtbare Artefakte wie etwa die Bürolandschaft, Zeitbild oder Zukunftsplan, die erstere vermitteln und greifbar machen.
#7 Strategie
Do what you preach. Ins Handeln kommen. Umsatz kommt von Umsetzen.
Offenheit und Ehrlichkeit ist eine wichtige Komponente. Nichts ist schlimmer, als wenn Unsicherheit ins Unternehmen einzieht, weil einige Personen Dinge wissen, die andere nicht wissen und Gerüchte und Geschichten die Runde machen.
Es gilt Dinge so gut es geht und insbesondere bei negativen Botschaften offen zu kommunizieren. Auch können hier eigene Emotionen angesprochen werden, wie etwa die eigene Angst vor der Zukunft, dass es trotz mancher Kündigungen und Einschnitte ein gemeinsames Vorwärtsgehen bedarf und dass die Führungskraft etwa nun umso mehr auf die verbliebenen Mitarbeiter setze. Wichtig ist hier, als Führungskraft voranzugehen und sich deutlich in den Dienst der Sache zu stellen. Hier gilt es, Fakten zu kommunizieren.
#8 Emotionale Intelligenz
Eine Fähigkeit, die in gewisser Weise prekär ist. Dadurch, dass wir immer mehr über Maschinen miteinander kommunizieren, verkümmern diese Fähigkeiten insbesondere bei der jüngeren Generation zusehends. Für ein gutes Miteinander und insbesondere bei den Beziehungen im Vertrieb ist es jedoch unabdingbar, weshalb die Bedeutung des Vorhandenseins dieser Kompetenz steigt.
Darunter zu subsumieren ist das Erkennen von Emotionen. Dies gilt sowohl für die eigenen als auch die des Gegenübers sowie, auf diese anschließend angemessen zu reagieren.
Um diese als Unternehmen zu fördern, gilt es die bedeutenden Werte zu vermitteln und die Diversität des Teams zu steigern. Ein regelmäßiger Austausch untereinander führt damit auch zu der gewünschten kulturellen Offenheit, für das Reflexionen und Beziehungsräume im Unternehmen geschaffen werden sollten.
New Work ist demnach ein Paradigmenwechsel bisheriger Arbeitsannahmen. Es erfordert einen Kulturwandel, der eine strukturelle Veränderung bedingt.
Wer dies verabsäumt und nur oberflächlich versucht, den Dingen gerecht zu werden, läuft in Gefahr, junge potenzielle Mitarbeiter zu verlieren bzw. gar nicht erst zu gewinnen, wie etwa auch ein Beispiel einer Studentin belegt. „Es wurde zwar ein Tischfußballtisch angeschafft und aufgestellt. Dieser sei inzwischen jedoch in einem Eck verschwunden, weil ohnedies niemand damit spiele. Der Kern der neuen Entwicklung sei damit nicht erfasst worden, was sich darin äußert, dass zuletzt alle jungen Kolleginnen dazu bewegte, das Unternehmen zu wechseln.“
Die Kompetenz des Change-Managements im Unternehmen nimmt daher ebenso zu. Wobei sich hier der Spruch bewahrheiten könnte: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“
Im Zuge der Diskussion kam auch auf, inwieweit New Work denn überhaupt ein Megatrend darstelle. Immerhin sprechen wir hier vor allem von einer privilegierten Schicht, die, wenn wir es Weltweit betrachten, nur einen Bruchteil der Gesamtbevölkerung auch in dieser Altersschicht ausmacht.
Was die Generation Z also global ausmacht, wird hier nicht weiter beschreiben.
Es wird wohl auch vergleichbar mit Maslows Bedürfnishierarchie vor allem dann bedeutend, wenn die unteren Bedürfnisse etwa nach Essen und einem Dach über dem Kopf gestillt sind. Auch sind diese Aspekte vor allem in jenen Berufsgruppen wiederzufinden, die eine hohe Ausbildung erfordern. Bei stupiden Tätigkeiten fallen sie womöglich weniger ins Gewicht.
Für das Arbeitsumfeld des professionellen Vertriebs sind sie jedenfalls von Bedeutung.
Wahrnehmbar ist mit diesen Umständen etwas anderes Prekäres: Die Beziehungsverwarlosung durch die Digitalisierung.
Wir scheinen so auf Effizienz getrieben, dass wir für oberflächliche Events und Small Talk keine Lust mehr haben und nur noch mit jenen sprechen, die uns Qualität versprechen.
So kann der Wunsch nach einem Video-Call auch eine Beziehungsverweigerung darstellen, dass ich mich mit meinem Kunden in gar keine Beziehung mehr begeben möchte.
Genau hier scheiden sich auch die Geister. Bedenkt man die Möglichkeiten, die uns inzwischen durch die Software offenstehen, muss auch bei einem Gesicht bald niemand reales mehr dahinter sein.
Im Bereich der Mails gibt es hier inzwischen diverse Angebote, wie etwa jenes von Salesloft, bei dem ein KI-basiertes System die Strukturierung des Vertriebsmitarbeiters übernimmt, was im Grunde zur Automatisierung des Vertriebs führt.
Was der Vertrieb kann, kann der Einkauf natürlich ebenso. Es läuft deshalb auf ein Match zwischen KI Einkauf und KI Verkauf hinaus – Maschine gegen Maschine.
Insofern steht im Raum, dass das Vertriebssystemmanagement zukünftig für den Menschen obsolet werden wird.
Bedeutender wird der zweite Part des Vertriebs: Das Vertriebsbeziehungsmanagement.
Diskutiert wurde deshalb, wann es den Verkäufer denn überhaupt braucht.
Macht dieser etwa den Unterschied, wenn die Produkte vergleichbarer werden, also der Käufer sich nicht nur aufgrund der Produkteigenschaften für das Produkt bzw. den Lieferanten entscheidet, sondern auch aufgrund der Person bzw. der Kauf-Experience?
Oder ist der Verkäufer vor allem unterstützend bei der Entscheidungsfindung des Käufers, wenn die Dinge eben kaum vergleichbar sind, wenn also Unklarheit (ein gewisser Nebel) herrscht, der auch mit den vielen Daten von der KI nicht gelöst werden kann?
Aus dem Grund ist es Ziel des Verkäufers, sich mit seiner Lösung hervorzutun, und für die Herausforderung des Käufers einzigartig zu sein.
Im Gegensatz dazu ist es der Wunsch des Käufers möglichst viel gleiche Güter zur Auswahl zu haben, um die Anbieter gegeneinander auszuspielen und das Gut günstig zu erstehen.
Laut einigen Teilnehmern ging aus Studien hervor, dass 80% der Kaufentscheidung bereits vor dem ersten Verkaufskontakt getroffen wurde. Nach dem ersten Kontakt liegt diese Quote bereits bei 93%!
Dieser Persönliche Kontakt bleibt insofern weiter von Bedeutung. Aufgrund zuvor genannter Aspekte der Digitalisierung und der scheinbar einhergehenden Beziehungsverweigerung lässt sich trauriger Weise feststellen, dass 70-80% aktuell kläglich an diesem persönlichen Kontakt scheitern.
Zum Zeitpunkt der Diskussion war die Nachricht aktuell, dass Delka und Salamander nun auch nach Kika/Leiner ihre Läden schließen werden. (vgl. Der Standard).
An diesen Beispielen macht es sich auch bemerkbar, dass die Qualifikation im Verkauf deutlich sinkt. Von dem Mancherorts postulierten Kaufsignal, wenn ein Mann ein Schuhgeschäft betritt, war hier kaum noch etwas zu spüren.
Mentoring 1.0
Dies befeuerte weiter die ursprüngliche Fragestellung, worauf zukünftig zu setzen wäre: auf das KI-System oder die Beziehung. Das brachte uns auch zu dem eigentlichen Thema des heutigen Zusammenseins zurück: Was können die Beteiligten vom Mentoring-Programm erwarten?
Einen Erfahrungsaustausch aus dem Vergleich der Praxis und der Theorie?
Eigenverantwortung (Erfahrungsmanagement)?
Wenn es keine Regeln gibt und die Beteiligten selbst die Freiheit haben, diese festzulegen – ist dies selbst ein Lernprozess, um den Erfordernissen in der Führung gerecht zu werden oder stellt dies die Akteure vor zusätzliche Hürden, zu deren Bewältigung sie erst hingeführt werden müssten?
Ein klarer Schluss war: Die Erwartungen beider Parteien abzugleichen und daraus die Handlungs- und Vereinbarungsaspekte abzuleiten, wie die jeweiligen Akteure sich die Zusammenarbeit vorstellen. Eine der bisherigen Erkenntnisse war, dass jeder Mensch individuell ist und damit auch an einem jeweils anderen Punkt steht und anderes vom Gegenüber nutzen kann.
Genannt wurde auch der Wunsch, mehr Einblick zu erhalten, d.h. mehrere Personen kennenzulernen, die mir vielleicht noch weiterhelfen können. Dafür wurde auch die Idee eines Speed-Datings eingebracht.
Ein Einwand, insbesondere im Aspekt des Beziehungsmanagements war es auch, ob wir uns mit einer eventuellen Breite, das Vertrauen und damit die Tiefe der Beziehung nehmen.
Präferenziert wird daher weiter ein Matching Programm, dass anhand von zwei bis drei Dimensionen, wie Branche und Erfahrungen, die Personen zuteilt.
Im Falle der Studierenden an der FH Wiener Neustadt erhalten sie ohnedies die fachlichen Inhalte von der Hochschule. Es bleibt für das Mentoring vor allem dort die „richtigen“ Fragen für die Umsetzung in die Praxis gestellt zu bekommen.
Auch hier kam die Frage nach der Effizienz auf, sich ausreichend für das Meeting vorzubereiten. Aber was braucht der jeweilige Akteur denn an Informationen?
Es führt hier wohl kein Weg vorbei, sich auf das ungewisse einzulassen und aus „Fehlern“ zu lernen. Was entsteht, wenn ich nicht perfekt bin? Was kann ich denn aus dem Gespräch erwarten? Was kann ich auch selbst einbringen?
Die Erwartung der Mentoren, das der Mentee jederzeit bei einem Thema auf sie zugeht, wurde tatsächlich kaum in Anspruch genommen. Viel eher war es die Herausforderung und Fragestellung selbst, die oftmals vom Mentee als zu lapidar abgetan wurde. Ob dies aus einer Angst heraus, bloß gestellt zu werden, passiert oder auch nicht. Fakt ist, dass jede Frage berechtigt ist, mag sie für uns auch noch so trivial erscheinen. Sie stellt im gegenwertigen Augenblich eine Hürde für uns da, die es mit der Antwort zu überwinden gilt. Abhilfe kann hier natürlich schaffen, sich diese Punkte am Smartphone zu notieren und beim nächsten Mal anzusprechen. Dies wäre eine weitere Möglichkeit, zu erlernen, was wichtiger und unwichtiger, was dringender und weniger dringend ist, da es sich mit der Zeit oftmals selbst ergibt.
Unser Fazit der Organisatoren:
- Rahmenbedingungen werden mit den drei Terminen vorgegeben. Alles weitere klärt der Mentee mit dem Mentor.
- Ansprechpartner stehen bei Abweichungen zur gemeinsam erarbeitenden Vereinbarung zur Verfügung.
- Erwartungsabgleich zu Beginn: Was wünsche ich mir? Was bringe ich ein?
- Weitere Möglichkeiten des Austausches ergeben sich durch das reguläre Angebot der VÖVM durch Sales Inspiration, Stammtische, Veranstaltungen, Wanderungen etc.
Diese stehen auch für erweitertes Netzwerken offen. - Mentoring ist weniger Fachlicher Austausch als die Chance, an der Persönlichkeit zu arbeiten und von persönlichen Erfahrungen des Mentors zu profitieren.
Martin Mock – factorynet.at, Experte im VÖVM-THINK TANK: „Ausbildung im Vertrieb“